Oberbürgermeister Burkhard Jung

Oberbürgermeister Burkhard Jung (© PUNCTUM / Stefan Hoyer)

Herzlich willkommen Ihnen allen, die Sie hier zusammen sind oder an den Bildschirmen diese Veranstaltung verfolgen. Ich freue mich sehr, dass Sie der Einladung gefolgt sind. Mein erster Gruß gilt all den Menschen, die 1989 mit heißem Herzen und Mut auf den Straßen waren und dafür gesorgt haben, dass ich hier stehen kann und Sie hier sitzen dürfen. Und stellvertretend für diese Menschen grüße ich ganz recht herzlich Marianne Birthler – herzlich willkommen. Schön, dass Sie uns ansprechen werden.

Es ist mir eine ganz besondere Ehre und Freude und ich bedanke mich ganz herzlich: Herr Bundekanzler, lieber Olaf Scholz, danke, dass Sie hier sind und uns begrüßen und eine Rede zur Demokratie halten. Ganz herzlichen Dank.

Ich begrüße ebenso herzlich die Vorsitzende des Bundesrates, Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin, einen herzlichen Gruß, und ebenso den sächsischen Ministerpräsidenten, der Mitgastgeber ist heute für unsere Veranstaltung, lieber Herr Kretschmer. Danke, dass Sie beide da sind.

Ich freue mich, dass Bundespräsident Dr. Gauck bei uns ist. Einen herzlichen Gruß, danke fürs Hiersein.

Ich grüße die Abgeordneten des Bundestages, des Landtages, des Stadtrates.

Ich grüße ganz herzlich meine Kollegen Vitali Klitschko aus Kiew, unserer ältesten Partnerstadt, ich freue mich sehr, lieber Vitali, dass Du gekommen bist, und den Oberbürgermeister unserer Partnerstadt Frankfurt am Main, lieber Mike Josef, herzlich willkommen.

Alle Gäste: Sie verzeihen, wenn ich jetzt aufhöre – bis auf einen, unseren Ehrenbürger Friedrich Magirius, den möchte ich noch begrüßen. Ich hoffe, Sie sehen es mir nach. Ich grüße alle Vertreterinnen und Vertreter des Konsularischen Korps, die internationalen Gäste, die Präsidenten, Direktoren, hohe Festversammlung.

Kennen Sie Fritzi? Fritzi war dabei! – und viele andere auch. Ich nicht so richtig, aber viele waren dabei. Fritzi ist 1989 12 Jahre alt und erlebt die Friedliche Revolution in Leipzig hautnah mit, die Freundschaft zu ihrer besten Freundin Sophie wäre beinahe zerstört worden und ihr ganzes Leben und das ihrer Eltern wird durcheinandergebracht.

Sie ahnen vielleicht, dass ich von einer Buch- und Filmfigur spreche „Fritzi – eine Wendewundergeschichte“. Eine Verfilmung und das Buch sind eine Ost-West-Kooperation im besten Sinne, mit vielen Preisen geehrt und heute ein besonders gelungenes Bemühen um Erinnerung.

Seit nunmehr 35 Jahren arbeiten wir in unserer Stadt, mehr oder weniger intensiv in unserem Land, daran, die Ereignisse des Herbstes 1989 zu verarbeiten und zu deuten. Welche Wirkung hatten und haben die Friedliche Revolution und die damit verbundenen Auswirkungen auf die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen, auf unser Zusammenleben?

Ich persönlich meine, wir sollten 35 Jahre danach natürlich erinnern an die mutigen Menschen, aber eben auch in besonderer Weise uns mit denjenigen beschäftigen, die nach uns kommen. Mit der jungen Generation, mit denen, die dieses Erbe und die Umbrüche weiter gestalten müssen.

Tage wie dieser heute haben deswegen nicht lediglich die Funktion einer Veranstaltung für Menschen, die damals dabei waren, die etwas Wundersames erzählen, sondern es hat eben auch die Funktion, besonders jene Erinnerungen wirklich lebendig und sinnvoll weiter zu geben.

Es muss gelingen, meine ich, Erinnerung nicht nur festzuhalten, sondern mit ihr in neue Zeiten zu gehen; sich der Erinnerung eben nicht zu entledigen, in die Vitrine stellen, weil die Vergangenheit vergangen ist, sondern für alle etwas Lohnenswertes zu gestalten. Für das eigene und unser gemeinsames Leben etwas herauszulesen.

Ein solch aktives, lebendiges Erinnern muss für alle und mit allen sprechen – für Ost- und Westdeutsche, für Ältere und Jüngere, für Jüngere mit wenig oder viel Interesse für die Vergangenheit, für die hier Geborenen, und die dazu Gekommenen und die noch Kommenden, von nah und auch von ganz ganz fern.

Vor einem halben Leben, vor 35 Jahren, ging von hier aus eine Revolution ins Land, in die Welt, die hatte laute und leise Vorboten und auch Nachklänge – zum Beispiel in Plauen. Ich grüße die Plauener Gäste ganz ganz herzlich.

Und doch war dieser 9. Oktober ein entscheidender Tag, der Tag der Entscheidung. Das war der Durchbruch.

Niemand konnte ahnen, dass es gewaltfrei bleiben würde. Bis heute wissen wir nicht einmal ganz genau, warum es entgegen aller Vorzeichen wirklich gewaltfrei blieb. Deshalb sprechen wir noch heute, viele sprechen noch heute vom „Wunder von Leipzig“.

Bewundernswert und bewegend bleiben der Mut aller, und der feste Wille, die Angst zu überwinden, für etwas einzustehen, dessen Ausprägung und dessen Folgen nicht eingeschätzt werden konnten.

Die absolute Gewaltfreiheit der über 70tausend gehört heute noch zum Ergreifendsten, zum Bewegendsten, zum Mutigsten, ja vielleicht auch zum Glücklichsten – Dr. Gauck hat heute Morgen gesagt „zu diesen wenigen Glücksmomenten“ – in unserer politischen Geschichte. Was angesichts der zum Zerreißen gespannten Lage und der Drohgebärden der Staatsmacht der DDR keineswegs erwartbar war.

Und deshalb möchte ich voller Respekt und Dankbarkeit sagen: Mir ist sehr bewusst, dass ich nicht hier reden könnte und wir alle nicht zusammenkommen könnten, wenn es diese mutigen Menschen des Herbstes `89 nicht gegeben hätte. Danke ihnen allen!

Gerechtigkeit, Freiheit, Mitbestimmung, saubere Umwelt, Meinungsfreiheit, Demokratie jetzt – das waren gemeinschaftliche Ziele der Demonstrierenden, formuliert aus allen Schichten der DDR-Gesellschaft.

Es ging nicht darum, symbolische Bilder für die Medien produzieren zu wollen. – Aber dann doch heimlich gefilmt von Siegbert Scheffke und Aram Radomski. Klasse gemacht.

Es ging auch nicht darum, die deutsche Einheit einzufordern – die allermeisten wollten ihr Land so umgestalten, dass es allen die Grundrechte wirklicher Demokratie einräumte und allen eine lebenswerte Zukunft ermöglichte. Die unermüdliche und gefährliche Arbeit der Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler möchte ich hier ausdrücklich würdigen. Danke, dass Sie da sind. Als die staatliche Vereinigung dann Ende des Jahres 1989 möglich schien, gingen alle Beteiligten von einem langen, langen, jahrelangen Prozess aus. Die Art und Weise der Wiedervereinigung war dann aber in der Tat erneut ein rasantes Wunder, aber hart erarbeitet, dank Gorbatschow, dank anderer, ich kann es jetzt nur antippen.

Diese Revolution hat befreit, neue Wege ermöglicht und gleichzeitig viele viele Wunden gerissen, Menschen großartige Perspektiven gegeben, und diese gleichzeitig massiv und eben nicht immer zum Guten verändert, Lebensleistungen ermöglicht und gewürdigt und im gleichen Atem der Geschichte auch marginalisiert und viele bitter enttäuscht. Bis heute.

Und sie hat an vielen Stellen ein Vakuum gelassen, das auf destruktive und gefährliche Art und Weise bewusst von Rechtsradikalen besetzt und nachhaltig in einer verunsicherten Gesellschaft verwurzelte. Übrigens: Diese Rechtsradikalen kamen aus Westdeutschland.

Und mit Trauer und Entsetzen denken wir heute auch an den 9. Oktober 2019 als in unserer Nachbar-Stadt Halle – 30 Minuten entfernt – einer der schwersten antisemitischen Anschläge in der Nachkriegsgeschichte von einem rechtsradikalen Täter geplant und mit zwei Morden und Verletzungen Unschuldiger endete.

Ja, die Veränderungen in Europa, in der ganzen Welt nach der Friedlichen Revolution schufen Möglichkeiten und Verwerfungen, Chancen und Risiken, Erfolge und Misserfolge!

Aber die Freiheit und Selbstbestimmung zu verteidigen, für die Menschenwürde und die Demokratie – unantastbare Güter – zu kämpfen – das, meine ich, bleibt unser Auftrag in der Nachfolge der mutigen Menschen von ´89 – hier in Leipzig, in Deutschland, in Europa, auch an der Seite der Menschen in der Ukraine und überall dort, wo die Menschenwürde und Freiheit mit Füßen getreten werden, sind wir in Verantwortung derer von ´89. Wir sind den Werten verbunden – gleich, woher wir kommen, wie groß oder klein unser Anteil an den Veränderungen war und ist.

Das ist der Auftrag der Friedlichen Revolution 1989. Herzlich willkommen in Leipzig!

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