7. Oktober
Am 40. und letzten Geburtstag der DDR, dem Nationalfeiertag am 7. Oktober, kam es allein in der Stadt Leipzig nach Demonstrationen von über 4.000 Personen zu 210 Verhaftungen. Die Zugeführten wurden erstmals in Pferdeställen auf dem Gelände der Landwirtschaftsausstellung "agra" in Leipzig-Markleeberg unter menschenunwürdigen Bedingungen zusammengepfercht. Während in Berlin Feierlichkeiten in Anwesenheit von Gorbatschow und vielen anderen Regierungschefs abgehalten wurden, kam es in der ganzen DDR zu starken Protesten.
Am nächsten Tag wies der Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, "unter dem Gesichtspunkt der Verschärfung der Lageentwicklung" an, "alle Personen herauszuarbeiten, von denen aufgrund vorliegender Hinweise und Erkenntnisse in Verbindung mit der möglichen Lageentwicklung antisozialistische und andere feindlich-negative Handlungen und Aktivitäten zu erwarten bzw. nicht auszuschließen sind". Aufgrund dieser Weisung überprüfte die Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Leipzig alle infrage kommenden Personen dahingehend, ob sie gemäß der Kennziffer 4.1. des sogenannten "politisch-operativen Vorbeugekomplexes" inhaftiert werden oder in einem Isolierungslager verschwinden sollten. Die Planung für diese Maßnahmen wurde seit über 20 Jahren ständig aktuell gehalten, waren jedoch aufgrund der rasanten Entwicklung nicht mehr auf dem neuesten Stand. Am Sonntagnachmittag, dem 8. Oktober, fand beim Leiter der BVfS, Generalleutnant Manfred Hummitzsch, eine Beratung mit den Leitern aller Diensteinheiten statt. Er stellte fest, daß eine "besondere Situation", ein "neuer 17. Juni" eingetreten wäre. DDR-weit wurden in den ersten 8 Tagen des Monats Oktober 3.318 Personen zugeführt. Gegen mehr als 600 leitete die Staatsanwaltschaft in dieser Woche Ermittlungsverfahren mit Haft ein. Die Untersuchungsabteilung des MfS schlug drakonische Strafen vor: So sollten "Teilnehmer [oder] Ignorierer der Aufforderung zur Auflösung" bis 3 Monate und "Rufer [oder] Mitläufer" 6 Monate per Strafbefehl eingesperrt werden. "Bei leichten Tätlichkeiten [oder] bei Vorgehen gegen Sperrgitter" wurde ein Jahr Gefängnis vorgeschlagen.