10. Juni
Für den 10. Juni war ein Straßenmusikfestival in Leipzig geplant. Straßenmusik beäugten die Behörden in der DDR, wie alle spontanen Aktivitäten, stets mißtrauisch und duldeten sie nur in wenigen Städten und nach vorheriger staatlicher Genehmigung. Die Idee zu diesem Festival ging auf den Theologiestudenten Jochen Läßig zurück, der als Straßenmusiker in Leipzig bereits mehrfach schlechte Erfahrungen mit der Staatsmacht gemacht hatte. Dabei war ihm deutlich geworden, daß auch Straßenmusik ein Politikum war: "Das Fest sollte ein Zeichen setzen für die Perversion eines Systems, das Lebendigkeit und spontane Lebensfreude unterdrückt." Bereits in der Einladung kalkulierten die Organisatoren und Musiker die Konfrontation ein:
"Die Frage der Genehmigung ist bisher nicht geklärt, wir wollen uns allerdings davon auch nicht abhängig machen. "Wie zu erwarten, war auch diese Veranstaltung von den staatlichen Stellen verboten worden. Als eine Begründung wurde angegeben, daß am gleichen Tag das Pressefest der SED-Bezirkszeitung LVZ stattfand und keine Konkurrenzveranstaltung geduldet würde. Trotz des Verbotes trafen viele Musiker aus der ganzen DDR in Leipzig zusammen und spielten zur Freude der Passanten bis in die Mittagsstunden in der Innenstadt. Gegen 12.00 Uhr fuhr die Volkspolizei vor und lud die Musiker plötzlich samt ihrer Instrumente äußerst brutal auf LKW's und führte sie zu. Die Verhaftungen dauerten bis zum Nachmittag an. Kurz vor Beginn der Motette des Thomanerchores wurden die letzten noch auf freiem Fuß befindlichen Musiker vor der Thomaskirche am Bachdenkmal eingekesselt und ebenfalls zugeführt.
Bei vielen Zeugen lösten die Übergriffe der Sicherheitsorgane Entsetzen und Unverständnis aus. So wurde aus "unbeteiligten Passanten eine protestierende Menge". Diese Erfahrung, die Vaclav Havel im Frühjahr 1989 vor einem Prager Gericht äußerte, war im Sommer und Herbst des Jahres 1989 auch in Leipzig immer wieder zu machen und hat zum stetigen Anschwellen des öffentlichen Protestes beigetragen.